30 Minuten! So viel Zeit verbringt die Hälfte von uns Frauen im Durchschnitt mit der täglichen Körperpflege. Was dabei nicht fehlen darf – die geliebte Gesichtscreme und unser Make-up. Und so trägt meine Lieblingskosmetik heute ein Siegel gegen Tierversuche, ist vegan und natürlich. Warum ich den Artikel damit beginne? Weil mein Weg zu tierversuchsfreier Kosmetik nicht unbedingt geradlinig war. Eher ein Zickzack zwischen Realitätswatsche und gesundem Menschenverstand. Ein Verstand, dem es als logisch erschien, dass vegane Kosmetikprodukte auch tierversuchsfrei sein müssten. Denn seien wir uns ehrlich: Wie kann ein Produkt, das explizit keine Inhaltsstoffe enthält, die von oder aus Tieren stammen, an Tieren getestet werden? Doch was ich damals zu glauben wusste, weiß ich heute besser. Und so ist es auf die fehlenden gesetzlichen Vorschriften zurückzuführen, dass der Begriff Vegan heute “alles” oder eben auch “nichts” bedeutet. Doch eins nach dem anderen. Beginnen wir mit der Frage: Warum sind Tierversuche heute Usus, obwohl es ein EU-weites Gesetz gibt, dass Versuche an Tieren verbietet?
Tipp 1: Die Sache mit den Schlupflöchern.
Zwei! Hundert! Tausend! So viele Tiere starben im Jahr 2018 an Tierversuchen. Besser gesagt: 237.727 Tiere! Komisch sind Tierversuche doch eigentlich verboten, oder? Stimmt irgendwie. Irgendwie auch nicht. Denn selbst wenn Tierversuche für Kosmetik- und Pflegeprodukte in der EU verboten sind, gibt es diese paar “winzig” kleinen Ausnahmen, die dann aber doch 90 Prozent der Inhaltsstoffe betreffen. Wo also stehen wir heute?
Kosmetikunternehmen ist es verboten, deren Produkte (1) oder auch Inhaltsstoffe (2) an Tieren zu testen oder Tierversuche in Auftrag (3) zu geben. Plus. Verboten ist auch der Handel mit Kosmetikprodukten (4), wofür Tierversuche im Ausland durchgeführt wurden.

Warum ich so kritisch bin? Überzeuge dich selbst:
Schlupfloch eins:
Das Verbot von Tierversuchen gilt für Inhaltsstoffe, die ausschließlich in Kosmetik- und Pflegeprodukten enthalten sind. In anderen Worten: Das Verbot bezieht sich nur auf einen winzig kleinen Teil rein kosmetischer Inhaltsstoffe. Um also nicht in das Tierversuchsverbotsgesetz für Kosmetika zu fallen, verwenden die Hersteller die Inhaltsstoffe auch in anderen Bereichen wie z. B. in Putzmittel oder Färbemittel. Also: Bye, bye Tierversuchsverbotsgesetz für Kosmetika. Und Hello, Chemikalienverordnung (REACH), die Toxizitätstest im Tierversuch verpflichtend vorschreibt. Für welche kosmetischen Inhaltsstoffe Tierversuche durchgeführt werden, das zeigt der Factsheet der ECHA.
Ein Schlupfloch, wodurch Tierversuche nicht nur erlaubt, sondern sogar verpflichtend vorgeschrieben sind. Das gilt auch für gewisse Kosmetikinhaltsstoffe. In Zahlen ausgedrückt: Etwa 90 Prozent der Kosmetikinhaltsstoffe sind an Tieren getestet.
Schlupfloch zwei:
Das Verkaufsverbot betrifft nur diejenigen Produkte, die seit 2013 neu auf den Markt gekommen sind. Inhaltsstoffe und Produkte, die vor dieser Zeit an Tieren getestet wurden, sind weiterhin erhältlich. Jetzt kommt’s: Natürlich ohne Kennzeichnungspflicht.
Schlupfloch drei:
Verkaufen Hersteller ihre Produkte auch außerhalb von Europa (z.B. Registrierung der Produkte in China), so werden Tierversuche auf Basis der Gesetzesgrundlage vor Ort angeordnet. Übersetzt bedeutet das: Kosmetikhersteller belabeln ihre Produkte als „tierversuchsfrei“ in Europa – führen für den Verkauf in China jedoch Tierversuche durch.
Tipp 2: Achja, da war doch noch Etwas: versteckte tierische Inhaltsstoffe.
Die gute Nachricht vorweg: Alle Inhaltsstoffe eines Kosmetik- und Pflegeprodukts findest du auf der Verpackung. Die größte Menge zu Beginn, die kleinste zum Schluss. Wunderbar – wäre nicht die Kleinigkeit mit der Verständlichkeit. Und hier kommen wir zur schlechten Nachricht: Denn die INCI-Liste (International Nomenclature of Cosmetic Ingredients), die alle Inhaltsstoffen der Kosmetikprodukte aufführt, zu entschlüsseln, dass ist alles andere als einfach. Schwer zu erkennen also, hinter welchen Bezeichnungen tierische Inhaltsstoffe lauern. Eine erste Idee, worauf du achten kannst, verrate ich dir hier:
Stearic Acid = Gewonnen aus Schweinemägen
Cysteine = Von Hörnern, Borsten
Amniotic Fluid = Hergestellt aus Plazentawasser getöteter, trächtiger Tiere
Seidenproteine = Stutenmilch oder Gelée Royal
Lanolin = Wollfett (von Schafen aus Australien, Mulesing)
Cera Alba = Bienenwachs
Serica = Gewonnen aus den Seidenraupen-Kokons
Shellac = Hergestellt aus der Ausscheidungen der Schellack-Laus (Nagellack, Haarspray)
Stearic Acid = Schweinemagen-Fettsäure
Kreatin = Hergestellt aus gemahlenen Knochen
Hyaluron = Gewonnen aus Hahnenkämmen (die deutlich teurere Variante: aus Hefe fermentiert und auf Weizenbasis)
Kollagen = Fischfett, Schweinehaut
Farbstoffe = Hergestellt aus Schildläusen (für intensive Farben wie Karminrot)
Weitere tierische Bestandteile, die unbemerkt in Kosmetik- und Pflegeprodukten enthalten sind, findest du hier.
Alle kommunizieren. Und keiner sagt etwas.
Aussagen von Unternehmen können wir glauben, müssen wir aber nicht. Sehr verdächtig ist jedoch, wenn eine Firma keine klaren Richtlinien hinsichtlich ihrer Inhaltsstoffe verfolgt und mit Marketing-Floskeln um sich wirft, die verdächtiger nicht sein könnten:
„Das Produkt wurde nicht an Tieren getestet“ Und ich so: Einzelne Inhaltsstoffe dafür schon?
„Wir testen unsere Produkte oder Inhaltsstoffe nicht an Tieren“ Und ich so: Tierversuche können ebenso von externen Labors oder auch in anderen Ländern durchgeführt werden.
„Against animal testing“ Und ich so: Wird dieser Grundsatz auch gelebt?
„We respect the rights of animals“ Und ich so: Ohne jeglichen Bezug zu Tierversuchen.
Tipp 3: Zum Schluss - Gütesiegel.
Das Herzstück! Wie erkennst du tierversuchsfreie Kosmetik? Besser gesagt: tierversuchsfreie und vegane Kosmetik? Die Welt der Gütesiegel.
1. Tierversuchsfreie Kosmetik
Hase mit schützender Hand (nicht vegan)
Diese Siegel verfügt über die strengsten Richtlinien, welche vom Deutschen Tierschutzbund festgelegt wurden. Das bedeutete: Tierversuche dürfen weder direkt, noch indirekt, noch über ausgelagerte Firmen gemacht werden. Darüber hinaus sind Inhaltsstoffe toter Tiere oder Inhaltsstoffe aus tierquälerischer Gewinnung verboten. Darunter fallen: Seide, Nerzöl, Cochenilleläuse, Murmeltierfett. Ganz wichtig ist auch, dass keine Abhängigkeit zu Unternehmen besteht, die Versuche an Tieren durchführen oder in Auftrag geben. Und nicht zu vergessen: Die Marktpräsenz in Ländern wie z.B. China, wo Tierversuche durchgeführt werden, ist verboten.
Schwachstelle: Lanolin (= Wollfett) ist nicht verboten. Wenn du dich fragst, was das ist? Lanolin ist Wollfett und stammt praktisch immer aus Australien. Dort werden Schafe der Tortur des Mulesings unterzogen.
Leaping Bunny (nicht vegan)
Für das Siegel haben sich weltweit Tierschutzorganisationen auf einen Standard geeinigt und Kriterien für Produkte, die “tierleidfrei” sind, festgelegt (Humane Cosmetic Standard). Daher ist das Siegel auch international sehr bekannt und weit verbreitet. Darüber hinaus dürfen die zertifizierten Hersteller nicht am chinesischen Markt aktiv sein.
Schwachstelle: Es werden auch Unternehmen zertifiziert, die zu einem Konzern gehören, welche selbst Tierversuche durchführen oder diese in Auftrag geben. Lanolin (= Wollfett) ist nicht verboten.
PETA Cruelty-Free (nicht vegan)
Die international Tierschutzorganisation PETA bietet Unternehmen, die schriftlich bestätigen, dass sie weder beim Endprodukt noch bei einzelnen Rohstoffen Tierversuche durchführen, eine Zertifizierungsmöglichkeit. Auch bestätigen die Unternehmen, dass sie oder ihre Zulieferer nicht am chinesischen Markt registriert sind.
Schwachstelle: Auch hier werden Unternehmen zertifiziert, die einem Konzern angehören, welcher selbst Tierversuche durchführt oder durchführen lässt. Lanolin (= Wollfett) ist nicht verboten.
2. Vegane + Tierversuchsfreie Kosmetik
Vegan Blume (Vegan + tierversuchsfrei)
Findet ihr auf einem Produkte die Vegan-Blume, dann wisst ihr, dass kein tierischer Inhaltsstoff enthalten und der Herstellungsprozess frei von Tierbestandteilen ist. Und auch wenn das Siegel Tierverbote verbietet, ist es im Gegensatz zu den Reglementen des Deutschen Tierschutzbundes oder dem Siegel „Hase mit schützender Hand“ nicht ganz so ausgefeilt.
V-Label (Vegan + tierversuchsfrei)
Die meisten kennen es aus dem Lebensmittelbereich – das Siegel der veganen Gesellschaft. Auch wenn es noch wenige Kosmetikprodukte gibt, die zertifiziert sind, es gibt sie. Und sie sind nicht nur vegan, sondern auch tierversuchsfrei.
3. Bio- oder Naturkosmetik
Lange Rede, kurzer Sinn: Über Naturkosmetik habe ich euch ja schon einiges berichtet. Von Tierversuchen war jedoch noch keine Rede. Also, raus mit der Frage: Gibt es ein Siegel, das sowohl natürlich also auch tierversuchsfrei ist? Und hier muss ich dir leider sagen: Neinnnnnnn! Wobei natürlich auch die Hersteller von Naturkosmetik an das Verbot von Tierversuchen gebunden sind – inklusive aller Schlupflöcher. Auch wenn jedes Siegel auf unterschiedliche Art und Weise mit Tierversuchen umgeht, bei folgendem Grundsatz sind sich Natrue, Cosmos, Icada, Austria Bio Garantie einig: es werden keine Inhaltsstoffe von toten Wirbeltieren verwendet. Nicht verboten ist jedoch die Verwendung von Lanolin. Auch die Produktregistrierung in China ist erlaubt. Daher mein Fazit: Bio- oder Naturkosmetik sind ökologisch wichtig, wenn du jedoch sicher sein willst, dass dein Produkt auch tierversuchsfrei (Hase mit schützender Hand, Leaping Bunny) und vegan (Vegan Blume, V-Label) sein soll, dann braucht es weitere Siegel.
Liebe Grüße ich
by Nadina Ruedl
Mehr dazu erfährst du auf meinem YouTube-Kanal „Vegan. Mehr als nur Essen. Liebe Grüße, ICH„.
Quellen:
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Ages.at; Tierversuche sind verboten.
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Europäisches parlament, parlamentarische Anfrage – Betrifft: Weltweites Verbot von Tierversuchen für kosmetische Mittel.
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Sozialministerium.at; Tierversuchsverbot
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Eur-lex.europa.eu; VERORDNUNG (EG) Nr. 1223/2009 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES.
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European Commission; Cosmetics.
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Arbeiterkammer; Kosmetik.
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Österreichischer Tierschutzverein; Grausam, unethisch, vermeidbar: Tierversuche in Österreich.
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Umweltbundesamt; Chemikalien / REACH.
-
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V.; REACH: Das Chemikaliengesetz für Europa.
-
Deutsche Gesellschaft für Hautgesundheit; INCI-LISTE.
-
Kommunikationsplattform VerbraucherInnengesundheit; Das Österreichische Lebensmittelbuch.
-
Lebensmittelbuch.at; Österreichische Lebensmittelbuch.
-
ots.at; facit Nachhaltigkeitsstudie Kosmetik 2019.
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global 2000; Naturkosmetik-check.
-
bund.net; toxfox.
-
vzhh.de; Verbraucherzentrale Hamburg.
-
Greenpeace; Greenpeace-Report: Drei Viertel der Kosmetikprodukte mit Plastik belastet.
-
Sozialministerium.at; EU-Kosmetikverordnung.
-
European Chemicals Agency; Interface between REACH and Cosmetics regulations.